Land: Deutschland
Thema: Kurzgeschichten

 

(von Stefan Fuhrmann)

 

Nachtvogel

 

Die Männer sprechen nicht. Niemand spricht. Die Gruppe verlässt das Haus, über dem der Mond die Landschaft in mattes Licht taucht. Ein Haus auf einem Hügel, sechs Männer, eine Frau, ein Kind.

Langsam bewegt sich die Gruppe vom Hause weg, über den Hügel einen Kamm entlang. Sie erreichen den Olivenhain. Irgendwo schreit ein Vogel. Einmal nur und ist dann stumm. Die Nacht ist lau. Eine leichte Brise weht von Westen und Wolkenfetzen treiben am Himmel, verdecken zuweilen den Mond.

„Mama“, flüstert das Kind.

Keine Antwort.

Die Mutter drückt die Hand des Jungen etwas fester, zieht ihn sanft zu sich heran. Die andere Hand liegt bang in der ihres Mannes. Sie spürt den Druck, fühlt den kalten Schweiß und weiß um seine Hilflosigkeit. Wortlos, aneinandergedrängt, gehen sie vor den Männern her.

Irgendwo raschelt ein Tier im Unterholz. Unbeachtet.

„Schneller“, ruft eine Stimme und der kleine Trupp erreicht eine Böschung, steigt zwischen Ginster und Distelgestrüpp hinab. Die Frau stolpert, stürzt. Sie schreit kurz auf, als ihr einer der Männer den Gewehrkolben in die Seite stößt.

„Weiter!“ brüllt der Mann, der den Trupp anführt.

Grober Stoff raschelt, während die Gruppe weitermarschiert. Leder knarzt. Der harte Tritt der Stiefel erklingt dumpf im Staub des harten, ausgedörrten Bodens.

„Mama“, sagt das Kind wieder, es ist noch klein, ein Junge mit feinen Gesichtszügen und prächtigem schwarzem Haar, „Mama, wohin gehen wir?“

„Still“, antwortet die Mutter, und man hört es kaum.

Der Vater sagt nichts, umschließt nur die Hand, die in seiner Schutz sucht, und ist froh, dass es Nacht ist. Die Linke in der Hosentasche umklammert ein silbernes Kreuz. Er betet lautlos.

Findet keine anderen Gedanken als dieses stumme Gebet. Als gäbe es kein Gestern; kein Morgen. Nur das Jetzt, das nichts anderes zulässt; nur den Weg vor ihnen - und sein Ende.

 

Sie erreichen eine Wiese, umsäumt von Zypressen, niederen Eichen und vereinzelten Olivenbäumen.

„Da“, sagt der Mann, der die Gruppe anführt. „Dort! Vor die Zypressen.“

Drei Männer lösen sich aus der Reihe und dirigieren Mutter, Vater und Kind hin zu den Bäumen. Lassen sie niederknien.

Der Vater wehrt sich, will nicht zu Boden, ein Schlag und er stürzt, greift im Fallen nach seiner Frau, die schreiend ihr Kind an die Brust reißt, es vor dem Unfassbaren zu schützen sucht.

Die aufgerissenen Augen des Jungen zeugen im Aufflammen der Schüsse für den Bruchteil eines Augenblicks von dem Grauen, das sich dort offenbart, auf jenem Platz vor den Zypressen, im Schattenspiel des Mondes.

 

Die Detonationen verhallen. Die Rauchschwaden legen sich. Die Körper auf der Erde bewegen sich nicht mehr. 

Die Männer schauen sich stumm an. Eine Feldflasche kreist. Einer der Männer flucht. „Verdammt!“ hört man seine Stimme im Dunkel der Bäume. „Meine Zigaretten liegen im Haus.“ Feuer blitzt auf. Die Männer rauchen. Zu ihren Füßen im Gras blinkt ein kleines silbernes Kreuz im Glanz eines Mondstrahls, der, verirrt, seinen Weg durch die Blätter gefunden hat.

Dann macht sich der Trupp zum Abmarsch bereit.

Das Schreien des Nachtvogels setzt wieder ein, für kurze Zeit nur, verebbt und wird von Wind und Wolken in die Finsternis getragen.

Bald ist nur noch Stille.

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